Wir alle kämpfen um die Aufmerksamkeit. Welche Mittel sind recht?

Der nebenbei hingeworfene Satz aus dem Mund einer Medienfrau beim letzten Journalistinnenkongress hallt immer noch in mir nach. Wie wahr. Wir kämpfen um die Aufmerksamkeit ab dem ersten Lebenstag. Wir passen uns an, fallen auf, bleiben bedeckt, verhalten uns fürsorglich, aggressiv oder ängstlich, um von den engen Bezugspersonen, und später dem weiteren Umfeld angenommen und gesehen zu werden. Wer Glück hat, läuft in Hollywood über den roten Teppich oder schreibt vielbeachtete Beiträge . Wer sein Anrecht auf Asyl zuwenig plakativ darstellen kann, muss das ersehnte Land verlassen. Wenn wir nicht genug beachtet werden, fragen wir uns: „Woran liegt es? Ist es, weil ich schwarz, eine Frau, noch ein Kind, Flüchtling, zu klug, zu dumm, zu brav, zu frech, …. ich weiß nicht was bin? Eine zufriedenstellende Antwort bleibt meist aus.

Der Kampf wird härter. Die ersten Referate werden Kindern heute in schon in der Volksschule abverlangt. Wer eine kreative, informative und ungewöhnliche Präsentation liefert, bekommt ein Extraplus. Gleichzeitig erfordern Zentralmatura und Multiple-Choice Aufnahmeprüfungen mehr denn je das Erfüllen genormter Leistungsstandards. Kompetenz ist, was alle in der Peergroup können. Narzisstische Bedürfnisse haben da wenig Platz, und werden belächelt oder kritisiert. Wenn die Kinder der Freundin, oft noch unbedarft und ungeschickt, ihren Egozentrismus zelebrieren, sind wir peinlich berührt. Wir sehnen uns nach dem Spiegel kindlich-naiver Selbstverständlichkeit, und versuchen, sie stellvertretend bei den Kleinen zu beschützen. Wenn allerdings die voyeuristische Freude der Erwachsenen nach den Schmetterlingsflügeln der vermeintlich unbekümmerten Authentizität greift, sind die zarten Farben der Illusion schon wieder dahin. Die Wahrheit ist: Schon die Kinder stehen, ebenso wie Erwachsene, in hartem Konkurrenzkampf. Er beginnt – besonders bei Geschwisterkindern, am Familientisch und setzt sich fort in der Sandkiste, und in den Optionen, die Eltern in der Wahl des Kindergartens und der Schule zur Verfügung stehen. Die berechtigte und verständliche Angst, den eigenen Platz nicht zu bekommen oder verteidigen zu können, ist allgegenwärtig, und sie schlägt gerade wieder einmal hohe emotionale und politische Wellen.

Die Art, wie wir uns Gehör verschaffen, ist sehr unterschiedlich. Was ist noch persönlicher Stil, und wo beginnt die Geschmacklosigkeit? Wo ziehen wir die Grenzen zwischen Weichzeichnerei und Verletzung der Würde anderer Personen? Ein mögliches Kriterium scheint mir die Bereitschaft zur Selbstreflexion und zur Betroffenheit zu sein. Ich bin eine passionierte Fettnäpfchenhüpferin, meist unbeabsichtigt, aber wer weiß, was mein Unterbewusstsein da manchmal für Rädchen dreht. Ganz möchte ich diesen inneren Kobold nicht missen, denn er wirkt belebend, erneuernd, aufdeckend, aber er braucht dringend den Ausgleich der inneren Stimme, die ich persönlich ganz altmodisch Gewissen nenne. Gemeint ist damit nicht eine moralische Über-Ich-Instanz, sondern mein Gespür für das was gut ist, Sinn macht, Entwicklung und Leben fördert, für mich und andere. Wenn sich mein Gewissen meldet – situationsrelevant, fürsorglich, warnend, richtungsweisend (im Gegensatz zu den Drohbotschaften meiner internalisierten Normen), löst es ein Gefühl der Irritation aus, es aktiviert mich, genauer hinzuschauen, und gegebenenfalls eine Kurskorrektur vorzunehmen. Der Neurobiologe Gerald Hüther schreibt in der „Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn“ (2010): „Betroffenheit bewirkt genau das, was ein menschliches Gehirn ausmacht: Die Fähigkeit … einmal entstandene Programmierungen wieder auflösen zu können. Deshalb ist die Unterdrückung von Betroffenheit der einzige wirkliche Bedienungsfehler, den man bei der Benützung seines Gehirns machen kann.“ Das braucht manchmal Zeit, Rückzug, Abstand, inneren Dialog und das Gespräch mit wohlmeinend konfrontierenden anderen Personen, die auch mal eine Grenze setzen.

Die Bereitschaft zur Betroffenheit möchte ich mir nicht nur für meine Täter- sondern auch für meine Opferanteile erhalten. Frustrationstoleranz, auch was seelische Kränkungen und Zurückweisungen betrifft, ist eine hilfreiche und sozial wichtige Kompetenz. Wenn andere sich ihren Raum eher unsanft holen, und vergessen, an meiner Haustür anzuklopfen oder die Schlammschuhe auszuziehen, muss ich mich nicht sofort in meiner Identität getroffen fühlen. Ich kann, wenn ich grad gut drauf bin, vielleicht sogar versuchen zu verstehen, warum sie tun, was sie tun. Aber es würde für mich eine Missachtung meiner und seiner/ihrer Person bedeuten, wenn ich die Gatschtour über meinen Teppich ignoriere oder toleriere. So gleichgültig möchte ich niemanden gegenüberstehen – so wenig Aufmerksamkeit hat kein Mensch und kein Tier, zumindest dem ich jemals begegnet bin, verdient.

Es kann aus meiner Sicht daher nicht schaden, wenn schon kleine ErdenbürgerInnen lernen, sich mit dem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, „freier Meinungsäußerung“ und Individualität,und deren Kehrseite, auseinanderzusetzen. Kinder und Erwachsene brauchen die Erlaubnis, das Bedürfnis danach, jemand Besonderer zu sein, sowie die permanente Enttäuschung über die Unbeständigkeit des Beifalls der Welt erleben und ausdrücken zu dürfen. Wir müssen lernen, den Spiegel, den andere uns vorhalten, als Chance zu sehen. Viele Erwachsene haben Defizite in diesem Bereich, und der Schmerz wird leicht getriggert, wenn ein Mensch in unserer Umgebung „zu viel“, „zu wenig“ oder „die falsche“ Aufmerksamkeit bekommt. Leider wiederholen wir oft die Geschichte unserer Kindheit, indem wir uns die Aufmerksamkeit so holen, dass wir zwar wahrgenommen, aber nicht angenommen werden (können). Es ist nicht leicht, durch positive Qualitäten aufzufallen, und selbst wenn es uns gelingt, können wir nicht mit unbetrübt gönnerhafter Freude rechnen, weil die neidig-schielende Hexe „Scheelsucht“ den Trank gern vergällt.Schädlich ist tendenziell nicht die Wertschätzung, die wir als Kind bekommen, sondern die versteckten Doppelbotschaften, die heimlich mitgeliefert werden: „Erfreue mich, aber lass es mich nicht merken. Sei klug, aber stell es nicht zur Schau. Wecke meine Bewunderung, damit ich stolz auf dich sein kann, aber nicht meinen Neid. Mach mich sichtbar durch deine Präsenz, aber fall nicht unangenehm auf. Sei einzigartig, aber genau so, wie ich es haben will.“ Besser scheint mir, zur eigenen Ambivalenz zu stehen, und sie ins Gespräch einzubringen: „ Du hast das gut gemacht, bravo. Mir ist jetzt ein bissl mulmig, und ich wünsch mir, dass Du auch drauf schaust, was es mit den anderen macht. Vor allem: Freu dich, mach das Beste draus, und Karotten gibt’s trotzdem.“

Kinder wachsen heute auf mit großer Öffentlichkeitswirksamkeit. Die Whatsapp-Gruppe der Volksschüler weiß längst über den toten Vogel auf der Stiege Bescheid, bevor Mama beim Abendessen die Kurzfassung geliefert bekommt. Die Jugend ist besonders gefährdet, zu viel von sich preiszugeben, abzustumpfen, im Ton zu vergreifen, ständig das Rampenlicht zu suchen, einfach nur um ihren Platz zu haben, Teil der Gruppe sein zu können. Was muss man fördern, was verhindern? Die Entwicklung geht so rasant, dass wir wenig auf Erfahrungen und Erprobtes zurückgreifen können. Es ist notwendig, darauf zu vertrauen, dass jede betroffene Generation ihren Weg findet, mit der Spannung zwischen dem Schutz der Innenwelt und der Sichtbarkeit nach Außen umzugehen, und dass sie Möglichkeiten entwickelt, die Notwendigkeit, sich Gehör zu verschaffen, mit der Fähigkeit, auch auf andere sorgsam hinzuhören, zu verbinden.

Wenn meine Tochter sich einer Öffentlichkeit stellen möchte, darf sie das tun – unter Einhaltung vereinbarter Regeln (das Gleiche gewährt sie mir). Sie kennt, wie viele Kinder in ihrem Alter, bereits ganz gut die Süße und Bitterkeit von Lob und Tadel, Herausragen und Übersehen-Werden. Meine Aufgabe sehe ich darin, sie dabei zu begleiten, zu informieren, zu fördern und zu begrenzen nach besten Wissen und Gewissen, und mich dabei anfragen und betroffen machen zu lassen – von ihr, von FreundInnen und von KritikerInnen. Das Gleiche wünsche ich mir von Menschen, die einen Erfahrungsvorsprung haben bezüglich Medien und öffentliche Kommunikation, von ForenbetreiberInnen und ZeitungsredakteurInnen denn die Geister die wir riefen, sind mächtig.

Ich schau mir auch von den jungen Menschen der „Generation Y ff“ einiges ab. Viele haben eine erstaunliche Gelassenheit im Umgang mit Beifall und Kritik, und ein recht feines Gespür dafür, was sie in welcher Art - authentisch, persönlich, privat oder öffentlich, schmissig oder wertschätzend mitteilen wollen. Sie sind in der Entwicklung der Menschheit, so wir uns diesen Optimismus erlauben, vielleicht schon einen Schritt weiter.

Kommentare: 1
  • #1

    Marianne SPÄTAUF (Sonntag, 24 April 2016 17:22)

    Liebe Frau Susanne Pointner,
    habe eben Ihr Buch fertiggelesen und mich dabei oft in meinem eigenen Leben wiedergefunden..... hätte ich diese Erkenntnisse schon als junge Frau gehabt .....
    So werde ich ihr Buch meiner Tochter schenken !
    Dankeschön!!!!